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Ausgebrannt – mein Handy lehrt mich Recovery!

Kurz vor Mitternacht.
Die Welt ist ein düsterer Ort und ich bin da, wo es stockdunkel ist.
Fehlt eigentlich nur noch die dramatische Melodie, wie im Horrorfilm.

Trotzdem muss ich die Dramatik unterbrechen – ich befinde mich nicht alleine im Wald. 
Sondern in meiner Wohnung.
Und suche halbdösend mit der Taschenlampe-App meines Handys nach dem Sicherungskasten.
Es hat einen Kurschluss gegeben, was die ungewollte Finsternis erklärt.

Nun steh ich also vor dem Kasten und hab keinen Plan, wofür die Schalter alle sind. Doch das hilft mir jetzt auch nicht weiter. Also tu ich so, als hätte ich alles im Griff.

Tapfer halte ich den Atem an.
Und drücke mutig an den Schaltern herum, bis meine Mikrowelle im Schlafzimmer vergnügt vor sich hin piept. 
Definitiv kein Horrorfilm. Eher das Level von Komödie. 

Vorsichtig betätige ich den nächsten Lichtschalter. 
Tadaa! Es werde Licht! 
Ich atme erleichtert aus. Das geht beinahe als Atemübung durch, die ich in einer Klinik gelernt habe.

Ich klopfe mir selbst auf die Schulter, um mich für meinen Mut zu loben. Eine Dame, Ende zwanzig, betätigt in ihrer Wohnung ein paar Knöpfe. Ich meine, das ist schon weltklasse, wa?
Kurz vor dreissig ist ja sowieso ein spannendes Alter. Da schwankt man zwischen Mutti anrufen, wie man Kartoffeln schält oder kriegt sein zweites Kind.
Dazwischen bin ich.
Die Freude verspürt, wenn die Mikrowelle piept.

Ich schweife ab.
Zurück zum Kurzschluss.

Erst mit Licht im Schlafzimmers realisiere ich, wie das Ladekabel meines Handys vor sich hin schmort.
Mein Handy ist wohl das nächste Opfer, so wie es vor sich hin glüht. Ob das noch gesund ist?

Schon Wochen zuvor hat mein Handy kranke Symptome von sich gegeben. Souverän habe ich die ignoriert.
Bis eben gerade. Jetzt ist weggucken nicht mehr möglich – höchste Zeit zu handeln! Ich brauche dringend so einen neuen Fernsprechapparat, bevor das Ding sich selbst in die Luft sprengt.
Und tu es gleich am nächsten Tag.

Altes Handy ist weg.
Bilder sind weg.
Daten sind weg.
Das neue Handy sieht so leer aus. 

Alles verloren? Nö. Es hat Platz für Neues!

Der Vorfall ereignet sich genau vor einer Woche. Und es regt mich zum Nachdenken an, weil ich das Vor-denken für das Wohlbefinden meines Handys anscheinend nicht nötig hatte.
Die feinen Anzeichen nicht wahrnehmen, bis es knallt und jemand ausgebrannt ist, das kommt mir bekannt vor.
Vielleicht hat mein Handy Burnout. Von all den installierten Apps, die offen sind und Energie rauben.

Ich weiss es nicht.
Ich weiss nur, dass ich ebenfalls allerhand Apps in meinem Alltag offen habe, die mir viel zu viel Akku rauben. Hier ein paar Musterexemplare:
Die Klopapier-einkaufen-App.
Du-könntest-deinen-Körper-mal-wieder-dehnen-App. 
Das-Bad-sollte-geputzt-werden-App.
Wann-hat-dein-Drachenbäumchen-das-letzte-Mal-Wasser-gesehen-App.
Antworte-endlich-auf-die-Sprachnachricht-App.

Alles Applikationen, die ich erledigen und schliessen muss.
Schliesslich kann ich mir im nächsten Mobile Shop kein neues Leben kaufen, falls es in mir unfreiwillig bruzzelt und fackelt. Ich meine kein Silvester-Feuerwerk, sondern flächendeckender Brand.

Dafür kann ich jetzt schon eine Version von mir gestalten, die noch viel besser zu mir passt wie bisher.
Sowas wie ein Update auf meiner kognitiven Festplatte.
Eine neue Aktualisierung ist verfügbar: Noémie 2.0.
Einstellungen prüfen, sonst droht Datenverlust.
Bitte an Stromquelle anschliessen.

Meine Stromquelle basiert auf der Recovery-Grundhaltung. Mit Recovery meine ich die Stärkung der gesunden Anteile in mir.
Eine persönliche Entdeckungsreise. Mich selbst annehmen.
Selbstannahme heisst nämlich nicht, alles gut an mir zu finden. Sondern alles annehmen, was da ist. 
Einfach mal ein selbstfürsorgliches Auge auf einen selbst werfen.
Also nicht wortwörtlich.

Den Schonwaschgang einlegen und gut für mich zu sorgen. Dranbleiben, auch wenn die mentale Verfassung Kondition hat. Oder eine Sache frisch und alltagsnah andenken.
Ein bisschen Yoga, Gemüsesuppe und Recovery. Ja, so ist das manchmal. Ganz simpel.
Ich brauche keine Diagnose, um darüber zu reden, wie es mir geht. 

Und wenn ich trotzdem wieder mal krank werde? 

Ich darf um Hilfe bitten, wie bei einer fiebrigen Erkältung und wieder gesund werden. Eine Krankheit ist keine Katastrophe.
Wenn ich im Sumpf lande, der sich als frisch gestapelter Kuhfladen entpuppt, dann gibt es verschiedene Reinigungskonzepte. Eines davon ist: Duschen.
Auch wenn ich nicht so pflegeleicht bin, wie ich gerne wäre.

Mittlerweile weiss ich: Abends bin ich erschöpft, wenn ich mich tagsüber verliere. Es gibt keine äussere Wegbeschreibung, wieder zurück zu mir zu finden. Auch wenn ich den offiziellen Wegweiser im Alpstein engagiert und ausdauernd anstarre.
Ich nehme mich sinnbildlich an die Hand und schenke mir den Prozess. Vielleicht sollte ich innerlich viel öfters offline gehen, bevor meine energiefressenden Apps einen Kurzschluss produzieren.

Manchmal reicht kein Kumbaja. Oder nette Höflichkeitsfloskeln in einer Befindlichkeitsrunde.
Ich brauche Pausen.
Einen Raum, bei dem mein Alltag nicht wirksam werden kann. Wo die Impulse nur so reintröpfeln dürfen. Und einfach mal still sein.
Die Stille stellt keine Fragen, aber manchmal die Antworten. Erst durch die Pausen entsteht Rhythmus. In meinem Lebenstempo.

Wozu sollte ich in Eile verfallen?
Ich werde niemals an den Punkt kommen, an dem ich sage, dass ich fertig bin. Auch wenn ich fertig sein möchte. Es wird immer das Gefühl geben, wachsen zu wollen, um nach vorne zu stolpern.
Ich darf das akzeptieren und lass den Prozess meine beste Stütze sein.

Recovery heisst für mich, dass es auch bedeutungslose, tote Tage gibt, wie es die genesenden Tage geben darf. Wie bei einer saisonalen Grippe. Ich erlaube mir, eine liebevolle, freundliche Haltung gegenüber mir selbst einzunehmen. Ich erlaube mir, Gesundheit immer wieder zu erschaffen.

Recovery ist eine Lebenseinstellung, die mich restlos von sich überzeugt.

Recovery ist das erschaffen von persönlichen Apps, die Freude bereiten. Es ist das Entwickeln der Fähigkeit, dass Selbsthilfe möglich ist. Es bedeutet nicht, «normal» zu werden. Oder das Leben als «normal» zu bestehen, wie eine Prüfung in der Schule.

Meine kognitive Software ist um einiges komplizierter als der Sicherungskasten in meiner Wohnung.
Doch wie mein Handy will ich nicht enden, auch wenn das Leben vielleicht ein ewiges Neubeginnen ist. Es ist nie zu spät, das persönliche Recovery-App herunterzuladen und dieses mit dem wertvollsten zu füllen, was wir haben.
Das eigene Leben.

Wie wäre es, gleich heute eine Freundschaftsanfrage an deinen Körper zu versenden? 

In diesem Sinne
Bleib dran – ich tu es auch!
Noémie