Interview
„Betroffene können alles machen. Nur nicht immer.“
«Verbocken».
Wortart: schwaches Verb.
Worttrennung: ver¦bo¦cken.
Bedeutung: falsch machen, verderben, verpfuschen.
Mit diesen Worten beginnt sich Markus auf seinem Blog vorzustellen. Es ist ein ironisches Wortspiel aus seinem Nachnamen und seiner Vergangenheit.
Markus Bock ist 37-jährig und kommt aus Asel – einem Dorf mit 800 Menschen in der Nähe von Hildesheim. Wenn er nicht mit seinem Sohn das Leben unsicher macht, treibt er Sport oder hält in verschiedenen Städten Vorträgen zu seiner Genesungsgeschichte.
Ich freue mich riesig, dass er heute auf meinem virtuellen Blogsofa sitzt und seine inspirierende, berührende und äusserst motivierende Geschichte mit uns teilt.
Wie würde Herr Bock jetzt sagen?
«Die Depression hat mein Leben bestimmt.
Jetzt bin ich dran. Vielleicht.»
Wie ist es dazu gekommen, dass du die Diagnose Depression diagnostiziert bekommen hast?
In meiner zweiten Ausbildung gab es eine Phase, in der es mir nicht gut ging. Ich bin nicht zur Berufsschule gegangen und habe mir den ganzen Tag voll mit Terminen gepackt. Mein Chef hat mich damals zum Gespräch gebeten und wollte wissen, was mit mir los ist. Er meinte, ich wäre kaum noch da, rede sehr wenig und fehle in der Schule. Ich habe ihm ein paar Dinge erzählt und er hat mich das erste Mal auf Depressionen angesprochen und zum Hausarzt geschickt.
Das war der Einstieg in meine erste Therapie und einer festen Diagnose. Zu dem Zeitpunkt hat mich die Krankheit aber schon viel Lebenskraft und Zeit gekostet. Das ist jetzt 13 Jahre her.
Auf deinem Blog schreibst du sehr eindrücklich über deine Geschichte. Welche Erfahrungen hast du mit deiner Offenheit gemacht?
Bis heute durchwegs gute Erfahrungen. Sicher ist der Preis so öffentlich zu erzählen sehr hoch, aber es kamen keine großartigen, negativen Reaktionen. Meine damaligen Freunde sind heute noch in meinem Umfeld. Und die, die es nicht mehr sind, sind es aus anderen Gründen nicht mehr.
Durch die Offenheit habe ich andere, tolle Menschen und Wegbegleiter kennengelernt und durfte mich damit auf eine Reise machen, in der ich eine ganze Menge über mich selbst lernte. Es ergaben sich tiefgehende Gespräche, kontroverse Diskussionen und auch eine große Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Die Offenheit war aber auch meine Rettung. Ich musste über mich schreiben, um mich selbst zu retten.
Am Anfang war mir nicht klar, was ich mit dem Blog bewirken wollte. Und auch heute ist es mehr mein eigenes Tagebuch, was ich leider etwas vernachlässige.
Ich habe viel Unterstützung erfahren – auch durch fremde Menschen, die mir dennoch Mut zugesprochen haben.
Welche Botschaft möchtest du in der Gesellschaft verbreiten?
Ganz klar: Habt keine Angst vor psychischen Erkrankungen! Nur weil etwas nicht sichtbar oder greifbar ist, ist es nicht weniger schlimm. Redet miteinander soweit es geht. Gebt dem anderen die Chance, einen kleinen Blick in eure Gedanken zu werfen – Betroffene und Angehörige!
Wertet einen Menschen nicht ab, nur weil er gerade nicht alles machen kann, was er sonst machen kann. Betroffene können alles machen, nur nicht immer. Und manchmal leider gar nicht.
Es ist wichtig zu verstehen, dass manche Menschen nicht nur eine Therapie machen und ein paar Tabletten nehmen, damit alles wieder gut ist. Therapie ist Arbeit, harte Arbeit an sich und mit sich selbst. Reicht anderen die Hand, auch wenn ihr nicht sofort versteht, warum jemand „völlig neben der Spur ist“.
Wer dir auf Instagram folgt, weiss, wie intensiv du dich mit dem Thema Sport befasst. Wie bist du dazu gekommen und was machst du genau?
Wir haben in Hildesheim vor drei Jahren den Verein Sport gegen Depressionen e.V. gegründet. Wir schaffen damit niedrigschwellige Angebote für Betroffene, weil wir – die es gegründet haben – immer irgendwie Sport und Bewegung in unserem Leben und auch die Wirkung kennen.
Ich wollte walken und wandern. Mehr war für mich nicht denkbar. Niedrigschwellig eben. Vor zwei Jahren gab es dann in Berlin den MUT Lauf auf dem Tempelhofer Feld. Ich habe gesagt, dass ich vorbeikomme und den Rundkurs mit 2 km ein Mal laufen will. Ich möchte ein Mal in meinem Leben gelaufen sein. Und seitdem hat es mich nicht mehr in Ruhe gelassen. Ich habe gemerkt, dass ich das kann. Ich wollte es können. Und dann nahm das Unheil seinen Lauf. Ich habe also angefangen zu laufen.
Mit der Zeit habe ich auch gemerkt, dass wir viele Sachen als Kinder und Teenager gemacht haben, die uns wirklich gut getan haben. Wir machen sie nur meistens heute nicht mehr. Ich war immer auf dem Rad und oft schwimmen.
Also? Habe ich auch das wieder in den Alltag integriert. Zumal ich bei den zwei Sportarten mein Körpergewicht nicht extrem im Weg habe. Blöderweise hatte ich die wahnsinnige Idee, ich könnte die Sprintdistanz beim Triathlon schaffen. Und habe darauf hintrainiert. Nicht die Zielzeit war entscheidend, nur dass ich ankomme. Ich war schneller als geplant. Und ich war wirklich stolz auf mich. All meine Wünsche und Träume aus der Kindheit habe ich in mein heutiges Leben übernommen, lediglich das Laufen noch ausprobiert. Und heute darf ich mich wohl Triathlet nennen.
Welche Veränderung spürst du durch die Bewegung?
Ich bin ganz bei mir. Ich achte dabei auf mich. Auf die Bewegung, mein Tempo, meine Atmung. Ich kann mit der Intensität den Druck meiner Gedanken steuern. Sport und Bewegung entspannt mich. Ich fühle mich fitter, gesünder und lerne meinen Körper noch besser kennen.
Ich lerne geduldig zu sein, meine Ziele langsam zu erreichen und auch auf die kleinen Dinge stolz zu sein. An Tagen, an denen es mir schlecht geht, ist es schon schwer überhaupt vor die Tür zu kommen. Und da freue ich mich auch über eine 3 km Runde.
Die Zeit mit Sport ist auch die Zeit, in der ich Ideen entwickle oder endlich Zeit habe, einen Podcast zu hören. Ich traue mich, gedankliche Grenzen auszuhebeln und verstehe, dass es unter Läufern und Sportlern keinen großen Neid gibt. „Ich trete nicht an, um Rennen zu gewinnen. Ich trete an, um den Wettkampf mit mir zu gewinnen.“
Sport gibt mir sofort ein Feedback über das, was ich tue. Ich habe eine Struktur, einen Plan und gehe Stück für Stück vorwärts. Und es gibt nichts Schöneres, als nach dem Sport wohlig kaputt zu sein.
Hast du Visionen? Falls ja, welche?
Visionen? Nein. Ich habe Ziele. Ich möchte beruflich da ankommen, wonach mir ist. Kreativ arbeiten, Inhalte liefern, Menschen bewegen und zusammenbringen, über Missstände reden, Ängste nehmen. Mit meiner Lebensgeschichte kann ich das.
Mein Ziel ist es, mich vermehrt mit der fachlichen Seite auseinanderzusetzen. Ich arbeite daran, dass wir in der Gesellschaft empathischer und offener mit psychischen Krankheiten umgehen. Ich glaube daran, dass wir da eine Menge bewegen können.
Ein anderes Ziel ist es, mehr mit Studierenden zu sprechen, die irgendwann nach dem Studium im sozialen, medizinischen oder psychiatrischen Bereich arbeiten. Denen fehlt im Studium oft die Praxis zur grauen Theorie. Ich kenne meine Aufgaben im Leben.
Und mein „großes Warum“ ist mein Sohn.
Abschliessend die Frage: Welche drei Dinge haben dir auf deinem Weg am meisten geholfen?
Das Schreiben im Blog und im Notizbuch. Menschen, die an mich geglaubt haben, als ich es selbst nicht konnte. Sport und Bewegung.
Vielen herzlichen Dank für deine Zeit und deine Offenheit!
Wenn du Markus näher kennen lernen oder auf seinem Weg folgen möchtest, kannst du dies auf folgenden Kanälen tun:
Blog Verbockt
Twitter Verbockt
Facebook Verbockt
Instagram Bock2run
Offline gelingt ein Treffen am besten an der Küste oder an einem seiner Vorträge. Die Daten stehen für dich direkt auf seinem Blog bereit.
In diesem Sinne
Bleib dran – es lohnt sich!
Noémie