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Das Innenfutter von emotionalen Schräglagen anprobieren

Ich könnte einen Streichelzoo gebrauchen. Jetzt. In meinem Badezimmer. Soeben ist mir mein Ärmel beim Händewaschen runtergefallen – und hat damit eine Welle der Tränen ausgelöst. Sowas nenn ich ziemlich nah am Wasser gebaut.

Das ist nicht ganz die Stossrichtung, die ich mir für mein Leben wünsche. Der Streichelzoo wird gebeten, zur Tür hereinzukommen.
Der Streichelzoo bitte!

Er kommt nicht. Ist mir schon klar.

Das da in mir drin hat beeindruckende Symptome auf Lager. Vermutlich färben meine Logistiker-Gene ab. Zumindest kriege ich keine Preise, wenn ich im Badezimmer rumheule und mich zu Staubpartikeln verwandeln möchte.

Ich versuch mich zu beruhigen.
Nun, dann feiere ich meine Erfolge halt in anderen Bereichen. Zum Beispiel beim Atmen.

«Die Beruhigung» und «das Atmen» sind gute Kumpels. Aber mehr noch: Atmen kann total wichtig sein, wenn man überleben möchte. Laut Wikipedia muss ich den Vorgang des Einatmens und Ausatmens durchschnittlich 17’280 Mal am Tag wiederholen.

Siebzehntausendzweihundertachzig Mal!
Na, wenn das mal kein erfolgreiches Dranbleiben ist, weiss ich auch nicht! Ich bin fest entschlossen, das hinzukriegen.

Überfahrener Basilikum macht mich um ein paar Millimeter leichter

Wortwörtlich gibt mir das Atmen Luft, an weitere Dinge zu denken, die mir gerade helfen. Die fünf Sinne zu aktivieren soll gut sein. Riechen, schmecken, hören und so.

Also versuche ich ganz engagiert, da zu sein, wo meine Füsse sind. Wenn sie schon mal im Badezimmer stehen, könnte ich auch ne Dusche nehmen.
Gesagt, getan.

Während das Wasser rieselt, versuche ich den Duft des Duschmittels einzuordnen (Vergesslichkeit ist hier von Vorteil, wenn man die Produkte selbst einkauft) – und habe keinen Plan. Also lese ich das Kleingedruckte auf der Tube nach.

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Soso.
«Innovative Formel». Die kann weg – klingt mir zu sehr nach Mathematik.
Aber das Ding mit der «perfekten Balance» nehme ich. Ganz frech steht da auch «limited Edition» drauf… vielleicht, weil der sonnengebräunte Topfbasilikum dafür saisonal gepflückt wurde?
Mich mit Basilikum einzuschmieren ist eine seltsame Vorstellung. Zumindest habe ich nicht vor, mich danach elegant in ein Tomatenbeet zu legen.

Mit einem Schmunzeln steige ich aus der Dusche. Ich stelle mir vor, wie die saftig grünen Blätter freudig gepflückt, mit der Dampfwalze überfahren und die Überreste in chemische Tuben gepresst werden.
Romantik Level: Expert.

In diesem Ambiente denke ich nach (auch wenn man es mir nicht ansieht). Durch mein Recovery-Verständnis lehne ich mich an den Gedanken, dass ich in der Lage bin, die aktuelle Schwere zu tragen und zu verstehen – wenn ich den Mut habe, den Blickwinkel auf meine Situation zu erweitern. Was ich damit meine? 

Wir müssen nicht alles glauben, was unser Kopf denkt!

Das aktuelle Gefühl ist nur eine Wahrheit. Der Kopf gaukelt oft ganz selbstbewusst vor, dass es sich um eine Katastrophe handelt. Doch was wäre, wenn sich das Innenfutter der gefühlten Schräglage als etwas ganz feines, unsichtbares und ausgesprochen wohltuendes herausstellt?

Es könnte sich auch um den Entgiftungsprozess von Dingen handeln, welche die Seele loswerden möchte. Vielleicht ist es nicht das Gefühl der Leere, sondern des inneren Freiraums. Vielleicht rückt die Seele gerade ein kleines Stück näher an die eigene Wahrheit heran und es fühlt sich bedrohlich an, weil es noch ungewohnt ist. Wer weiss, vielleicht tobt sie sich gerade aus und platzt mit einer fetten Arschbombe mitten in den Alltag?

Ab und zu kündet sich auch ein neuer Lebensabschnitt an mit der Frage, ob die Handlungen noch immer mit den eigenen Überzeugungen übereinstimmen. Vielleicht ist diese kurze Pause von einem strukturierten Alltag ja genau das, was es braucht, um zukünftig bessere Entscheidungen zu treffen?

Einladung zur Anprobe des Innenfutters

Ich glaube, es ist normal, emsig danach zu streben, Stabilität und Sicherheit zu finden. Halt zu finden ist eine tolle Sache. Meiner Meinung nach finde ich Halt nur dann, wenn ich Tempo drossle, an – halt – e und inne – halt – e.

Dadurch können die verschiedenen Innenfutter anprobiert werden. Vielleicht fühlt sich die ein oder andere Stoffschicht sogar ziemlich flauschig an.
So flauschig wie ein Streichelzoo.

Das Leben ist keine kurzfristige Befriedigung.
Es wird wieder Momente im Leben geben, in denen das kuschlige Ambiente auch von der Aussenseite deiner emotionalen Textilstruktur sichtbar werden wird.
Das sind Momente, in denen das Nervensystem am liebsten durchdrehen würde, weil das Leben so wundervoll ist! Momente, in denen sich das Gefühl im Magen nicht als fortgeschrittenes Magengeschwür herausstellt – sondern als deine dich über alles liebende, innere Herzensstimme.

In diesem Sinne
Bleiben wir gemeinsam dran – es lohnt sich!

Noémie