Allgemein
Ein bisschen Improvisieren gehört dazu!
«Noémie, es ist okay, auch mal einen ganzen Sonntag im Bett zu verbringen», sagte mal eine Psychologin zu mir.
Damals steckte ich in der eindrücklichen Phase, in der ich überzeugt war, vierundzwanzig Stunden am Tag produktiv sein zu müssen.
Jetzt erinnere ich mich an ihre Worte, aber nicht nur, weil tatsächlich Sonntag ist. Sondern weil ich zwölf Stunden geschlafen habe – einfach so!
Es war nicht mal in meiner Agenda eingetragen.. Wahnsinn!
Normalerweise kriege ich das nicht mal mit vierzig Grad Fieber hin.
Ok, heute ist nicht normal.
Denn ich fühle mich noch immer etwas neben der Spur.
Perfekt also, den ganzen Tag im Bett zu bleiben. Der leistungsorientierte Anteil in mir wimmert nach Aufmerksamkeit, doch heute hat er keine Chance.
Ich habe wichtigeres zu tun.
Die mentalen Mosaiksteinchen wieder zusammenzufügen, die in den letzten Tagen und Wochen verlorengegangen sind zum Beispiel.
Ich produzierte mir selbst Gegenwind und strebte danach, subito ein Schmetterling zu werden, obwohl Raupen auch wundervolle Tiere sind. Schnell noch ins Fitness, kurz einkaufen und ganz dringend die Mail beantworten.
Und alles nur, weil ich mich danach sehnte, fertig zu werden.
Aber heute?
Es ist so herrlich ruhig in mir drin. Heute kümmert es mich nicht, was die Welt für Pläne hat. Ich schalte das Handy auf Flugmodus und mich gleich mit.
Das Wort «Entschleunigung» mag ich nicht, benutze es aber trotzdem. Denn heute führe ich sogar meine Bewegungen entschleunigt durch.
Es kann sehr wohltuend sein, den Fussboden zu schrubben und sich liebevoll einen Salat herzurichten, statt gehetzt durch die Glücksratgeber zu blättern.
Neben der Spur zu sein gefällt mir immer besser.
Vielleicht liegt mein Zustand auch nur daran, weil ich die volle Verantwortung für mein Leben übernehme? Ich meine, wem nutzt es, wenn ich durch mein Leben stresse?
Oder allgemein gefragt:
Wem nutzt das schlechte Leben?
Es liegt in meiner Verantwortung, eine Therapie zu beginnen, wenn es mir über einen längeren Zeitraum schlecht geht. Es ist auch meine Verantwortung, mein Leben so zu gestalten, dass es mir gut dabei geht. Ich kenne mich. Körperlich brauche ich Körperübungen und mental Pufferzeiten für mich selbst.
Was ich gerade neu lerne: Ich darf mich immer wieder neu entscheiden. Wenn ich heute A sage, darf ich morgen B sagen. Oder K. Einfach so, ohne Rechtfertigung.
Lebensumstände verändern sich ständig. Mein Leben soll sich nicht als Korsett anfühlen, welches mir die Luft abschneidet. Ein bisschen improvisieren gehört dazu, wenn man auf der Reise zu sich selbst ist.
Einfach mal klein anfangen. Mit dem ersten Mini-Schritt.
Zum Beispiel mit der Entscheidung, einen Schlussstrich zu ziehen. Nicht auf der überteuerten Steuerrechnung. Sondern in der Beziehung zu meinen Gedanken.
Ich lass einfach mal los und schenke meinem Geist einen kurzen Roadtrip. Das Leben «innerhalb der sogenannten Spur» kommt schon wieder zu mir zurück.
Ich kann nicht von Recovery-App reden und sie dann nicht praktizieren. In meinen Augen wäre ich dann nicht authentisch. Aber das ist eine andere Geschichte.
Recovery ist genauso schön wie frisch duftende Bettwäsche. Oder grüne Bohnen.
Der kurze Roadtrip im Flugmodus ist auch der Grund, weshalb ich letzte Woche keinen Blogartikel geschrieben habe. Die sinnbildliche Auszeit habe ich für mich gebraucht.
«Hauptsache, man ist glücklich» – höre ich immer wieder.
Keine Ahnung, ob das so ein guter Rat ist. Ich ringe mit der Frage, was mich wirklich glücklich machen kann.
Paradoxerweise treibt es mich zur Eile an, obwohl das Wort «Entschleunigung» doch grad so in Mode ist.
Ich bin verzweifelt auf der Suche nach etwas, das mein Wohlbefinden steigert. Aber was, wenn es gar nicht ums Suchen geht? Vielleicht geht es vielmehr ums Finden.
Weil es schon lange in mir schlummert.
Muss nicht ständig die letzte Kraft aus mir herauspressen, um mein Verhalten noch mehr zu verbessern oder auf mir herumhacken als wäre ich Unkraut. Ein Moment muss nicht verbessert werden. Ich muss auch nicht schnell rennen.
Nicht mal beim bevorstehenden Berglauf, weil ich schon längst angekommen bin.
Ich bin in Ordnung, ohne dass ich ständig etwas dafür tun muss. Dadurch hole ich nicht zu wenig aus meinem Leben heraus. Sondern vielmehr hinein. Wohlbefinden zum Beispiel.
Das Leben ist keine olympische Disziplin, in der ich disqualifiziert werden kann.
Es steckt mehr in uns als geschmeidige Darmzotten oder lebenswichtige Schläuche, die das Blut vom rechten Ohrläppchen zum grossen Zeh transportieren und bestenfalls wieder zurück.
Vielleicht gehört Improvisieren dazu, damit mein Lächeln länger als für ein Selfie auf meinem Gesicht strahlt.
Ich treffe die Entscheidungen für mein Leben. Es fühlt sich gut an, mein Leben liebevoll in die Hand zu nehmen. Wie ein Kind, welches ich in den Kindergarten begleite. Mit dieser Geste übernehme ich Verantwortung.
Die Improvisation schenkt mir dabei die Möglichkeit, die Schnelligkeit aus meinem Alltag zu nehmen.
Wenn ich also sonntags in meinem Bett liege und meinen Zustand «neben der Spur» geniesse, dann bin ich nicht faul. Im Gegenteil – ich bin ökonomisch, selbstfürsorglich und bewege mich entschleunigend. Puh, was für eine Luxuskomi. Bald könnte ich als Multitasking-Talent durchgehen.
Aber nur bald.
Welche Kombi lebst du gerade in deinem Alltag?
Und welche möchtest du leben?
In diesem Sinne
Bleiben wir gemeinsam dran, in kleinen Schritten – es lohnt sich!
Noémie
2 Kommentare
Martina
Liebe Noémie,
ich möchte dir ein großes Kompliment für deinen Blog aussprechen. Inzwischen ist er einer meiner Lieblingsblogs, auf dem ich immer wieder stöbere und auch Beiträge 2 oder 3 mal lese. Ich mag deine humorvolle Schreibweise und in vielen Beiträgen finde ich mich genau wieder. Du fasst Dinge in Worte, die meist sehr schwierig sind aufzuschreiben weil sie oft als Gedankenfetzen ungeordnet im Kopf treiben. Bei deinen Artikel kommt auch oft der AHA Effekt, weil man sich über Dinge klar wird. Manchmal werden dadurch auch Veränderungen angestoßen oder man geht endlich den ersten, kleinen Schritt in die richtige Richtung. Auch merkt man, dass man nicht die einzige „verrückte“ Person auf der Welt ist, sondern dass es Menschen gibt, denen es ähnlich geht und die das auch verstehen. Oft fühlt man sich ja unverstanden und irgendwie nicht dazugehörig.
Vielen Dank Noémie für deinen Blog und ich hoffe du schreibst noch lange weiter 🙂
Liebe Grüße aus Österreich,
Martina
Noémie (Author)
Liebe Martina,
Vielen Dank für deinen so herzlichen Kommentar, der mich mit grossflächiger Gänsehaut beschenkt! Ich freue mich ganz innig, dass du dich oft in Beiträgen wiederfindest und dabei das Gefühl entsteht, nicht die einzige verrückte zu sein.. Ich glaube, dieses „verrückt“ ist auch nur eine von vielen Varianten, wie das Leben auch gelebt werden kann. So bleibt es bei uns ganz spannend und geschmeidig 🙂
Deine Worte sind mehr als Balsam für mich, sie motivieren und berühren auf eine ganz wundervolle Weise.
Dankeschön, dass du hier bist, liebe Martina – ich freue mich von Herzen, dich auch in Zukunft hier begrüssen zu dürfen!
Ich wünsche dir, dass du und deinen Liebsten gesund durch die aktuelle Lage schaukeln könnt!
Herzliches Winkewink ins sympathische Österreich!
Bis bald,
Noémie