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Entscheidungen richtig werden lassen

Ach, immer diese Entscheidungen.
Jetzt gerade soll ich wissen, was ich für eine Berufskarriere einschlagen will – mit siebzehn Jahren und einer schweren depressiven Episode.
Ich bin mit meiner fehlenden Perspektive und mir selbst masslos überfordert, das ist alles, was ich weiss. Die Arbeitslosigkeit ist da das kleinste Problem. Ich habe Mühe, erholsam und regelmässig zu schlafen. Meine Stimmungslage schwankt so extrem, dass ich die Frage nach meinem Befinden nicht beantworten kann. Es fällt mir schwer, an ein „Morgen“ zu denken, wo mich das „heute“ schier erdrückt.
Beinahe ständig vergleiche ich mich mit anderen Jugendlichen, die in einer Ausbildung sind. Ich setze mich unter Druck, den perfekten Beruf für mich finden zu müssen. Trotzdem sitze ich resigniert am Rande der Gesellschaft und blicke auf das Weltgeschehen, das in einem beeindruckenden Tempo an mir vorbeizieht.
Manchmal würde ich gerne ein paar Jahre in meinem Lebensfilm überspringen, um zu erfahren, ob aus mir doch noch was werden kann. Gleichzeitig ist die Vorstellung so utopisch, dass ich nur ungern an „mich als Erwachsene“ denken möchte.
Die Entscheidung muss sowieso jetzt getroffen werden.
Doch ich mag diese Verantwortung abgeben.
Dazu fallen mir einige Möglichkeiten ein. Ich schreibe zum Beispiel eine Liste, in der ich die Vor- und Nachteile eines Berufsfeldes eintrage. Anschliessend falte ich das Papier zu einem Flieger und lasse es aus dem Fenster fliegen. Die befahrene Hauptstrasse, an der ich wohne, regelt das schon.
Ist jetzt ihr Problem.
Oder ich entscheide mich, Feenstaub in mein Schlafzimmer zu pusten und dabei dreimal «hokus-pokus» zu trällern. Der Einhorn-Lifestyle ist zurzeit ja absolut modern, sogar auf Teetassen und T-Shirts kleben die bunten Tiere.
Da diese zwei Strategien jedoch noch nicht wissenschaftlich bewiesen sind, entscheide ich mich erstmal für eine neue Denkweise.
Ich versuche mir den Druck zu nehmen, um alles in der Welt eine richtige Entscheidung zu treffen. Wer entscheidet überhaupt, was richtig ist? Kein Leben verläuft in gerader Linie und meiner Meinung nach gibt es auch kein «falsch».
Seitdem ich mich in einer fremden Stadt verirrt habe, weiss ich, dass Umwege lediglich die Ortskenntnis erhöhen – so sagte es auch Dr. Eckart von Hirschhausen. Falls mich eine Entscheidung mental zur Ortskenntnis zwingt, so weiss ich jetzt mit Erfolg, welchen Weg ich nicht mehr einschlagen möchte.
Jeder Mensch hat die Möglichkeit, sich am nächsten, inneren Wegweiser völlig neu zu entscheiden (manchmal ist das Ego unmotiviert, aber das ist eine andere Geschichte). Mit dieser Freiheit habe ich die Chance, dass meine Entscheidung nicht falsch ist, sondern richtig w-i-r-d.

Aber wie wird eine Entscheidung denn richtig?


Diese Frage kann ich alleine nicht beantworten.

Ich hole mir Unterstützung. Es soll jemand mit mehr Lebenserfahrung sein und sehr viel von meinem Leben verstehen – sofort denke ich an mein 80-jähriges «Ich».

Dazu stelle mir vor, wie «Ich mit achtzig Jahren» rechts neben mir stehe und meine Gedanken bezüglich der bevorstehenden Entscheidung mithören kann. Wie verhält sich mein älteres Ich?
Schüttelt es den Kopf?
Krümmt es sich vor Lachen?
Möchte es mich umarmen?
Wird es zornig?
Gratuliert es mir?
Wenn ich ehrlich bin, dann weiss ich genau, was das «Richtige» in der jetzigen Lebenssituation ist. Die Frage ist nur, bin ich bereit, dafür einzustehen? Und bin ich bereit, den Preis dafür zu zahlen?
Mein älteres «Ich» will mich mit dem verbinden, was mich lebendig macht. Es kennt den Weg ganz genau. Also liegt es an mir, ihm zuzuhören und vor allem in’s Handeln zu kommen. 
Auch bei diesem Schritt hole ich mir Unterstützung, wenn ich sie brauche. Vom Briefträger, einem Familienmitglied, dem Hund, einem Instagram-Influencer, Freund oder Psychiater.
Wie verhält sich dein «80-jähiges Ich», wenn es dir beim «Jetzt» zuschaut?
Und: Darfst du eine Entscheidung richtig werden lassen?
Mach deine Möglichkeit nicht zunichte, indem du sie dir wortwörtlich zer-denkst. Probiere einfach mal aus. Ohne Druck. Nur für eine Woche. Einen Tag. Oder eine Stunde. Im Beruf, beim Lackieren deiner Nägel, einer Ernährungsumstellung, im Sport, beim Brot backen, bei deiner Lebenseinstellung. Es muss nicht gleich beim ersten Mal funktionieren. Dein 80-jähriges Ich begleitet dich auch beim nächsten und übernächsten Versuch. Und vor allem wartet es mit Freude bei der nächsten Abzweigung auf deine Ankunft.

In diesem Sinne
Bleib dran – es lohnt sich!

Noémie