Allgemein
Entspannung aus der Zipfelmütze?
Ich mag Menschen, die mit viel Herzblut ihre Arbeit erledigen.
Aber nicht jetzt.
Und vor allem nicht hier.
Ich stehe in der Parfümabteilung eines Einkaufszentrums und setze einen äusserst interessierten Blick auf. Künstliche Düfte reissen mich jetzt nicht wirklich vom Hocker.
Also gar nicht.
Ich muss lediglich auf den Bus warten und draussen sind es gefühlte Minus hundert Grad.
Mit Bise.
Eine Mitarbeiterin des Ladens klärt mich über die verschiedenen Angebote und die Neuheiten auf, obwohl ich nicht darum gebeten habe. Sie meint es bestimmt nett.
In Gedanken wäge ich ab, was schlimmer ist. In der Kälte zu frieren oder so zu tun, als wäre meine Wahrnehmungszentrale im Hirn durch die aufdringlichen Düfte nicht überfordert.
Entspann dich!
Da ist er wieder.
Der Gedanke zur Entspannung.
Doch das hier ist der falsche Zeitpunkt und keine Seelsorge.
Die Düfte hauen mich schier um. Ich muss mich schnellstmöglich und höflich aus der Situation verabschieden.
Und tu es auch.
Nach ein paar frischen Atemzügen denke ich über meine Aufforderung nach: Entspann dich! Entspannen.. ja mach das Mal, wenn dich der Alltag hetzt, du die überfüllten öffentlichen Verkehrsmittel benutzt, der Wind durch deine Jacke peitscht und du deshalb in einen Parfümladen flüchten musst.
Ein Glück habe ich so eine rettende App auf meinem Handy heruntergeladen.
Da geht es um Entspannung. Die sendet mir sogar regelmässig Push-Nachrichten, um mich daran zu erinnern, durchzuatmen.
Prompt leuchtet mein Handy während der Busfahrt nach Hause auf.
Fühlst du dich ärgerlich?
Stecke deinen Ärger in einen Ballon und lass ihn fliegen.
Steht da.
Nicht schlecht, Handy!
Warum es auch immer um meine aktuelle Stimmungslage weiss.
Andererseits ärgert mich die Aufforderung. Das App macht es sich relativ einfach – als könnte ich zu jeder Zeit einen Ballon aus meiner Zipfelmütze zaubern.
Die Vorstellung mental und erfolgreich durchzuführen, das ist schon hohe Kunst.
Zen-Meister-Liga oder so.
Ich stecke mir die Kopfhörer in die Ohren, um im Bus etwas Privatsphäre zu suggerieren.
In einer Übung auf der App beginnt eine ruhige Stimme zu sprechen. In meiner Situation wirkt sie beinahe provokativ.
Einatmen.
Ausatmen.
Die Quelle des Atmens liegt unterhalb des Bauchnabels.
Tiiiiiief Einatmen.
Tiiiiief Ausatmen.
Ich atme schon sehr engagiert, finde ich.
Versuchen tu ich es trotzdem. Schaden kann’s ja nicht.
Zuhause angekommen falle ich in gewohnte Muster zurück. Ich bemerke eine ausgeprägte Multitasking-Fähigkeit an mir.
Das Bild mit dem Schriftzug «einfach mal nichts tun» ist schnell geliked, wenn man nebenher vier andere Dinge gleichzeitig macht.
Die Zen-Meister-Liga ist eine Nummer zu gross für mich.
Wie schön findet seit gestern mein verlängertes Wochenende in einer Wellnessoase statt. Bereits das Wort «Wellness» verknüpfe ich mit dem Gefühl, aufzutanken.
Selbst bei meinem Umfeld löst das Wort meistens ein gutmütiges «ooooh» in unterschiedlichen Tonlagen aus.
Doch was ist an diesem Ort nur anders?
Ich nehme mich ja mit, meine Gedanken inklusive.
Trotzdem kann der Tapetenwechsel bei mir andere Gedanken produzieren. Er beschleunigt das Gefühl, mich wieder mittig zu fühlen. Zwischen gebackenen Jungspinatblättern mit Sprossenhaube, Fussreflexzonenmassage und Wohlfühltee gelingt mir das irgendwie besser.
Manchmal ist es einfach an der Zeit, Zeit für sich zu nehmen.
Spätestens dann, wenn mir von den vielen Wendungen in meinem Leben schwindelig wird.
In meiner Welt passiert gerade unheimlich viel.
Deshalb habe ich manchmal das Bedürfnis stillzustehen und innezuhalten.
Ruhe ist ein tolles Heilmittel für Gesundheit.
Ich schalte mein Handy auf Flugmodus und setze mich hin.
Ich atme.
Ohne Anleitung.
Ohne App.
Einfach im Rhythmus meines Körpers.
(Ha! Bin ich gut oder bin ich gut?)
Zeit mit mir selbst zu verbringen fühlt sich goldig an. Ich spüre: wahre Stärke kommt tatsächlich von innen.
Ich muss nicht für andere Lächeln. Ich lächle für mich.
Wir brauchen Mut, um im Leben weiterzukommen. Doch bevor ich wieder daran denke, mein Leben zu ändern, beschliesse ich, innezuhalten.
Nicht nur denken.
Auch mal tun.
Morgen geht’s wieder nach Hause. Sicherheitshalber stecke ich mir einen Ballon in meine Zipfelmütze.
Prophylaktisch und so. Man weiss ja nie.
In diesem Sinne
Bleiben wir dran – es lohnt sich!
Noémie