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Erzähl mir bloss nichts vom Glück!

Zeitsprung in den Herbst 2008.

Es ist mal wieder einer dieser Tage, an denen ich lieber im Bett geblieben wäre. Mit schweren Gedanken schleppe ich mich durch den Tag, teile meine miese Stimmung unaufgefordert mit den Leuten, die mir über den Weg laufen.
Die Tage häufen sich.

Trotzdem laufe ich tapfer zur Arbeit.
Die Arbeit ist momentan eine niederschwellige Tagesstruktur, weil ich emotional noch nicht stabil genug bin für die Tätigkeit an einem geschützten Arbeitsplatz.

Es regnet.
Meine Socken sind nass.
Die Ampel für Fussgänger ist viel zu lange rot.
Die Abgase der Autos stinken. Wenn ich nicht so müde wäre, würde ich mich darüber aufregen.

Während der Beschäftigung erzählt mir eine Arbeitskollegin freudig von ihrem Arbeitsweg. Sie habe ein freudiges Kind beobachtet. Dieses sei in eine Pfütze gesprungen und es habe gelacht. Bei diesem Anblick hätte sie direkt gute Laune bekommen.
Ausserdem freue sie sich über ihre neue Regenjacke und der frischen, gereinigten Luft. 

Na dann,… herzlichen Glückwunsch – mit viel Ironie gratuliere ich ihr in Gedanken. 
Keine Ahnung, welche aufhellenden und schönredenden Medikamente sie bekommt, aber heute ist bestimmt nichts schön.
Basta.

Vermutlich meine ich vor allem meine Situation.
Kaum achtzehn Jahre alt und IV-Rentnerin. Mir fehlt es an Gesundheit. Und einer Perspektive, endlich eine Ausbildung zu machen. Wie soll ich unter diesen Umständen an meine eigene Zukunft glauben können?

Ja, ich weiss.
In den therapeutischen Sitzungen lerne ich, wie wichtig es ist, das Positive in unterschiedlichen Situationen zu sehen. Meine Psychologin macht mir Mut, der neue Blickwinkel sei lernbar.

Jaja.
Oder sagen wir so: Es ist eine Herausforderung für mich, daran zu glauben.

Trotzdem lässt mich dieses «lernbare» nicht mehr los.
Tage später entscheide ich mich dafür, «es» lernen zu wollen. Den neuen Blickwinkel zu sehen und damit das Positive. Vielleicht brauche ich einfach eine passende Brille?
Bevor mein innerer Kritiker zur Höchstform läuft, werde ich in der Buchhandlung fündig.

Ein rosa Schwein starrt mich an.
Auf einem Buchcover.
Ein Typ liegt daneben im Gras. Die lauschige Romantik hat kaum Platz auf dem Bild. 
Der nette Mann stellt sich als Dr. med. Eckart von Hirschhausen heraus.

Ein Buch über Glück. 
Er will mir etwas über Glück erzählen? In meiner Situation?   
Hoppla.
Immerhin ist es kein 0815-Buch. 
An der Kasse ist es dann offiziell: 
Ich kaufe ein sogenanntes Glückstagebuch.



Okay. Mutig, Noémie. 
Die Anleitung im Buch dazu finde ich sehr einfach. Vielleicht zu einfach: Jeden Abend soll ich kurze Notizen machen, in welchen Situationen ich richtig glücklich war.

Richtig glücklich?
Ich stolpere doch bereits über die Definition von diesem «Glück»!
Ein «Glück», gibt es Internet. Google ist so schrecklich intelligent.

Oh, unendlich viele Treffer!
Jeder Klick auf einen anderen Link beschreibt das Wort anders. Also picke ich mir das raus, was ich am besten einordnen kann: «Glück ist eine angenehme, freudige Gemütsverfassung».

Alles klar!
Ab sofort werden täglich fünf Dinge notiert.
Schon am ersten Abend gerät mein Vorhaben ins Wanken. Fünf Dinge sind verdammt viel, wenn die Welt eher düster gefärbt ist.
Trotzdem strenge ich mich an. So sehr, dass ich meine Augen zukneife, um auf der sicheren Seite zu sein.
Dabei ist es egal, der Wand in meinem Schlafzimmer grimmig gegenüber zu sitzen.
Sieht mich ja niemand.
Und falls doch, dann sag ich einfach, dass ich auf der Suche nach Glück bin. 
Wird bestimmt keine weiteren Fragen aufkommen lassen. 

Was mich jedoch stört, nicht so schnell voranzukommen, wie gedacht.
Ich klappe das Buch zu und will alles hinschmeissen, obwohl ich noch gar nicht begonnen habe.
Eine Woche lang fasse ich das Buch nicht mehr an.

Danach erinnere ich mich, dass der selbst auferlegte Druck nichts bringt. Und klicke mich zur Sicherheit durch ein paar motivierende Weisheiten im Internet.

Tatsächlich gelingt es mir, auf die empathische Schiene einzuspuren.
Na klar ist eine Veränderung anstrengend, ich mache es auch zum ersten Mal in meinem Leben. Alles was neu ist, ist erst einmal ungewohnt.
Wenn ich ein, zwei oder auch mal drei Tage nichts aufgeschrieben habe, mache ich am vierten Tag einfach weiter.

Und so passiert es auch.
Ich schreibe zuerst dreimal in der Woche, danach häufen sich die Daten der Einträge, bis ich schliesslich täglich schreibe. Die zu Beginn so schwere Übung wird zur angenehmen Routine.
Wie Zähneputzen.
Nur cooler.

Erstaunlicherweise fällt es mir mit jedem Tag leichter, Dinge wahrzunehmen, die einer angenehmen, freudigen Gemütsverfassung ähneln. 
Das Beste daran?
Bereits nach vier Wochen spüre ich einen markanten Unterschied in meinem Denken. Selbst meine Körperhaltung ist aufrechter.

Plötzlich ist das Leben so reich beschenkt, obwohl die äusseren Umstände in meinem Leben noch dieselben sind. 
Die schweren Gedanken sind dadurch nicht weg. Einen Ausbildungsabschluss kriege ich dafür auch nicht. 

Meine Sichtweise hat sich dadurch verändert.
Durch das Üben und Dranbleiben.
Dankeschön, Herr Hirschhausen, für diese wertvolle Erfahrung (die Grüsse gehen raus an den humorvollen Arzt)! 

Heute sehe ich das vergnügte Kind in der Pfütze.
Nein, nicht immer.
Aber immer öfters.

In diesem Sinne
Bleiben wir dran – und üben die Sichtweise ein, die wir einnehmen möchten. 

Noémie

…ob es einen Zusammenhang mit meinen Zellen gibt?
Ganz bestimmt sogar!
Rückblickend würde ich sagen, dass ich meine Zellen mit dieser Übung unterstützt habe, sich umzupolen. Wenn du wissen magst, was genau ich damit meine, kannst du es sehr gerne im letzten Artikel nachlesen und in die Welt der Zellen eintauchen: Das heimliche Hobby meiner Zellen