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Ich. Bin. Raus. – psychische Entschlackung in der Natur!

Mechanisch scrolle ich durch den Newsfeed, der mir ausgelutschte Weisheiten präsentiert. Ich rede mir ein, mit dieser Tätigkeit für Ausgleich zu sorgen – doch die hektisch verbrachten Tage enden in einer fiebrigen, langwierigen Erkältung.
Psychosomatik wie aus dem Bilderbuch.

Ungefragt werde ich mit meinen Ängsten und negativen Glaubenssätzen konfrontiert. Als wäre ich nicht schon genug überfordert mit den Storys, die mir mein Kopf erzählt.
Ich bin ziemlich motiviert, zu schrumpfen. Ich sehne mich nach Einfachheit.

Mein Körper macht immer sein Bestes, um mich aufrecht zu halten.

Herzrasen und Müdigkeit zeigen mir, dass etwas nicht in Ordnung ist. Der Blick in meine Agenda sagt dasselbe. Ich möchte meine Gefühle nicht länger wegdrücken und ausgeklügelte Strategien entwickeln, wie ich meine To-do-Liste abarbeiten kann.

Mein Herz spricht fliessend psychosomatisch. Heisst übersetzt: Ich muss raus! 

Raus aus all den Gedanken, Konstrukten und Erwartungen, die mich verfolgen. Ich brauche die Natur.

Der Plan steht.
Alpsteingebiet, ich komme!

Zur Sicherheit google ich kurz nach dem Wetter. Die App auf dem Handy zeigt für den ganzen Tag Schneefall an.
Hm, bei dieser Prognose würde ich lieber mit der Webcam rausgucken. Mein Kopf versucht mir einzureden, dass es ausreicht, auf dem Sofa sitzen zu bleiben. Er sagt mir auch, dass es im Leben völlig ausreicht, finanziell versorgt zu sein.

Was für ein Schmarren, lieber Kopf!

Mein Körper und meine Psyche wissen genau, dass sie die Natur brauchen, um ausgeglichen zu sein. Zielstrebig setze ich mich ins Auto und fahre ins Alpsteingebiet.
Ich parkiere im Zielgelände und mache mich in regem Schneefall auf den Weg. Geplant ist eine kleine Wanderung zum sympathischen Seealpsee, idyllisch umgeben von den Schweizer Voralpen.

Bereits bei der ersten Steigung verdoppelt sich mein Puls. Ich schiebe meine fehlende Fitness auf die Folgen des Fiebers.
Tja, die Natur ist eben immer ehrlich. Das ist gut so. Also drossle ich mein Tempo vom Level «Schnecke» auf «Geriatriesport für Herzpatienten Ü80».
Ich überlege mir sogar, einen Bypass zu setzen. An eine Stelle, an der noch keine Arterie war.

Ich schmunzle einen Moment über mich selbst.
Und werde anschliessend wieder nachdenklich.

Eine Wanderung ist Teilhabe, egal in welchem Tempo. Mit jedem Schritt lasse ich die Welt hinter mir, die mit kühlen Erwartungen und Anforderungen nach mir greift. Und dann erlebe ich die Natur.
Grösser könnte das Kontrastprogramm nicht sein.

Mit diesen Gedanken erreiche ich den See. Wenn es einen Ort gibt, der mich darin unterstützt, Kontakt zu mir selbst aufzubauen, dann ist er hier. Inmitten der Schweizer Voralpen.


Die Natur hat keine Dauerbeschallung vorgesehen. Sie bewertet niemals nimmt mich so an, wie ich bin. Mit durchnässten Regenhosen, Träumen im Kopf und Tränen auf den Wangen. Sie fordert keinen tabellarischen Lebenslauf oder beeindruckende Zahlen, noch interessiert sie sich für meine Vorliebe zu Vanilla Cola.
Wobei das mit dem Cola schon bissel schade ist.

Lebe ich für den Eindruck, den ich auf andere mache?

Ich bin für mein Leben selbst verantwortlich. In dieser Umgebung finde ich immer wieder zu meiner neu gewonnenen Selbstliebe zurück, wenn ich sie an die Erwartungen verliere. Diese natürliche Umgebung holt tiefgehende Worte an die Oberfläche.

Mag sein, meine Identität aufs Spiel zu setzen, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Doch das Gefühl von Sicherheit, welche ich durch meine Anpassung glaube zu erhalten, darf ich nicht unterschätzen. Meistens suggeriere ich mir, auf dem richtigen Weg zu sein, wenn ich in die Fussstapfen anderer Menschen trete.

Ich sammle Karma-Punkte wie Super Mario, jage Belohnungen nach und glaube, damit meine Pflicht zu tun. Wie viel Energie mir das raubt, erwähne ich nicht. Vielmehr deklariere ich meine Müdigkeit elegant als Gelassenheit.
Auch ne Strategie, wa?

Ja, es fordert Mut, mir selbst treu zu bleiben. Ehrlich gesagt bin ich überfordert mit dem Verarbeiten aller Eindrücke in meinem Leben. Wobei ich mich bloss danach sehne, «richtig» zu sein.

Mit diesen Worten im Kopf sitze ich in den durchnässten Regenhosen am Seeufer. Ich staune über die Schönheit dieser Erde und spüre, wie ich innerlich immer ruhiger werde.

Schon faszinierend, dieses «draussen».

Die Natur ist eine tolle Erfindung. In dieser Umgebung können meine Sinne wieder geweckt werden. Irgendetwas entspannt mich und macht mich wieder gesund. Ohne mich mühevoll darum zu bemühen, werde ich wieder repariert, obwohl ich nicht genau weiss, was kaputt ist. Die Natur als Ersatzteillager. Ein Hoch auf die natürliche Logistik!

Draussen ist es irgendwie leichter, das Grübeln einzustellen. Oder zumindest beiseite zu schieben. Als gäbe es Öffnungszeiten für Grübeleien.
In der Natur darf ich sein und muss nichts reflektieren. Reflektion ist klasse, beim Radfahren oder in der Therapie. Einfach mal zu sein und geschehen lassen, hat seinen ganz eigenen Reiz.

Ich atme diese heilende, kühle Luft nochmals tief ein und entscheide mich, zurückzulaufen. In diesem Moment spüre ich: Alles, was ich in meinem Leben tue, hinterlässt Spuren in meinem Körper und meinem Kopf. 

Herzlich Willkommen bei dir!

Warte nicht insgeheim darauf, dass dir die Gesellschaft die Erlaubnis gibt, dein Leben zu leben. Stress ist doch nur der Wunsch nach Veränderung. Bist du bereit, den Wunsch in die Tat umzusetzen? Keine Sorge, du brauchst nicht acht Wochen ins Kloster zu gehen.

Schenke dir selbst Momente, in denen du einfach mal raus bist! Im Offline-Modus. Als Ruhetag für deine Grübeleien.
Distanziere dich für einen halben Tag von dramatischen Medieninhalten, Pushmitteilungen und permanenten Online-Modus und beobachte, wie es dir damit geht.

Zu viel Input macht auf Dauer müde und entfernt dich von deinen Sinnen. Nutze die Natur, dich psychisch zu entgiften von all den Dingen, die unerwünscht an dir kleben.

Schnüre die Schuhe oder geh barfuss los. Das Grün vor deiner Haustüre ist bestens dafür geeignet! Du brauchst auch kein Fitness-Bunny zu sein – Level „Schnecke“ klingt doch unfassbar sympathisch!

In diesem Sinne
Bleib dran – es lohnt sich!

Noémie