Ich drehe mich im Kreis.
Es geht nicht vorwärts.
Auch in der Gesprächstherapie. Diese Tatsache verdränge ich mit Erfolg.
Doch in der heutigen Sitzung ist alles anders.
Meine Psychologin spricht das Wort «Abbruch» tatsächlich aus.
Wie soll ich mein Leben unter diesen Umständen auch nur ansatzweise in den Griff kriegen? Unvorstellbar!
Das letzte Stück Boden bröckelt unter meinen Füssen.
Ich bin siebzehn Jahre jung. Das Selbstwertgefühl ist überall, nur nicht bei mir. Meine sozialen Kontakte beschränken sich auf die Mitglieder meiner Familie und meine Psychologin. Regelmässig stürzen meine Gedanken in schwer depressive Gebiete ab. Mir fehlt die Perspektive, dass sich auch etwas an meiner Arbeitslosigkeit ändert.
Ich habe nichts, worauf ich am Ende des Tages stolz sein kann. Mein Gesundheitszustand liegt mit chronischem Fieber im Bett.
Und jetzt erst recht.
Da ist das ausgesprochene Wort.
Abbruch.
Und der dazugehörige Gedanke.
Untherapierbar.
Ich bin erschüttert.
«Ich hätte da noch eine Idee», spricht meine Psychologin aus.
Oh!
Ein kleiner Hoffnungsschimmer?
Plötzlich bin ich wieder hellwach und aufnahmefähig. Sie berichtet über die Idee, zusammen laufen zu gehen.
Wie jetzt, laufen? – schiesst es mir durch den Kopf.
Dass meine Psychologin eine leidenschaftliche Läuferin ist wusste ich bereits, aber dass Rumrennen eine Art Therapie sein könnte, ist mir neu.
Ich sage zu.
Ein bisschen, weil mir der Plan B fehlt.

Also gehe ich in Turnschuhen zur nächsten Sitzung. Nervös warte ich vor der Praxis.
Da kommt sie.
Sportlich gekleidet.
Gut gelaunt.
Meine Psychologin begrüsst mich mit einem Lächeln.
Ihr durchtrainierter Anblick macht mir Angst.
Ich lasse mir nichts anmerken.
Wir traben los.
«Gemütlich» nennt sie das angepeilte Tempo. Und plaudert gleichzeitig über die Dinge, die sie wahrnimmt.
Kräftig blühende Blumen.
Die Aussicht, die bis zum See reicht.
Die frische Luft.
Der Kreislauf, der in Schwung kommt.
Das Wolkenspiel am Himmel.
Ich bewundere ihre Fähigkeit, zu laufen und gleichzeitig zu reden.
Bei mir sieht das etwas anders aus.
Ich hopse ihr hinterher.
Versuche mein Seitenstechen wegzulächeln, wenn sie zu mir herüberblickt.
Ignoriere das Brennen in der Wadengegend.
Suche nach Abzweigungen, die unseren Zielpunkt schneller erreichen lassen.
Hechle nach dieser ach so frischen Luft.
Betreibe Rätselraten, wann die Baumwollfasern meines Shirts zu miefen beginnen.
Wenn ich so nachdenke – das ist ja auch Multitasking.
Zumindest für Anfänger.
Erst als ich danach eine erfrischende Dusche geniesse, fühle ich mich etwas besser. Ich kann noch nicht greifen, was gefühlsmässig anders ist. Es ist ungewohnt, dass Laufen nun tatsächlich als Therapie eingesetzt wird. Jedenfalls spüre ich, wie ich die Unsicherheit in meinem Leben für einen kurzen Moment vergessen kann.
Deshalb beschliesse ich, auch ausserhalb der Therapie meine Turnschuhe zu schnüren.
Zweimal in der Woche.
Eine Minute leichtes Jogging, eine Minute gehen. Vierzehn Minuten – danach bin ich völlig platt.
Laufen ist anstrengend. Doch es schenkt mir die Möglichkeit, die Therapie im gewohnten Sitzungszimmer fortsetzen zu können.
Die Noémie ist wieder therapierbar!
Mehr noch.
Ein utopischer Gedanke wird zur Wirklichkeit.
Ich beende einen Lauf über fünf Kilometer.
Das Gefühl, etwas selbst zu erarbeiten und zu schaffen, ist unbezahlbar.
Ich erlebe, wie ich trotz der passiven Umstände einen kleinen Bereich in meinem Leben aktiv gestalten kann.
Diese Erfahrung ist Gold wert.
Welcher (für unrealistisch bewerteter) Gedanke möchtest du zu deiner Wirklichkeit werden lassen?
Du hast es in der Hand.
Sei mittendrin in deinem Leben.
Du darfst entscheiden.
Befördere dich zum Gestalter deines eigenen Lebens.
In diesem Sinne
Bleib dran – es lohnt sich!
Noémie
Übrigens: Wird Ausdauer belohnt?
Die Fortsetzung darfst du im Artikel Der Moment als wichtige Lebenslektion lesen. Viel Spass dabei!