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„Und was machst du so?“

Skeptisch schüttle ich mir selbst den Kopf zu – ich beginne bereits, das Quadrat bei Tetris zu drehen. Höchste Zeit, mir eine Runde Alpstein zu verordnen und dem Organismus eine Mini-Erholung zu genehmigen. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiss: Es kommt anders als geplant.

Ich stelle mein Leben auf lautlos, im wahrsten Sinne des Wortes. Zielstrebig steuere ich die Wandergebiete an, die von Stille umgeben sind. Also weniger die mobilen Toilettenkabinen am Berg, sondern vielmehr die Naturflecke in der Chefetage, fernab von Touristen-Parfüm und dem Geschmack von gebratenen Kartoffelrösti.

Ich klinke mich vom Alltag aus, Psychische Entschlackung und so.

Auf meiner Rückreise wasche ich meine Hände in einem Brunnen. Nichts weltbewegendes, doch diesmal gesellt sich ein etwa sechzig Jähriger Mann zu mir.
Er führt ein Gespräch.
Ich irgendwie auch.

Spannend, Sie sind schon vier Stunden unterwegs?
Ah super, sind sie auch auf dem Heimweg?
Trifft sich super, ich muss auch da hin.
Gehen wir.

Sagt er.

Und schwupps wandern wir zusammen in einer Selbstverständlichkeit, als hätten wir es bereits miteinander vorbesprochen. Ich bin unsicher, wie cool ich das finde, weil meine Gefühlslagen eher zu Melancholie und Stress in Tränenform neigen.
Immerhin muss ich mich nicht mehr entscheiden.

Er beschreibt mir die Einzelheiten seiner lückenlosen Vita, welches Unternehmen er heute führt, in welchen Betrieben er sein Handwerk gelernt hat. Er erzählt davon, wie schwierig es sei, heutzutage noch gute Lernende zu kriegen, aber auch von seiner Familie und dem Gastgewerbe im Alpstein-Tourismus.
Wenig später sagt er, er sei jetzt in einem Alter, indem man grundsätzlich Pillen nehmen müsse gegen Cholesterin und Bluthochdruck. Er wandere jedoch lieber im Alpstein, das sei die beste Medizin.

Ich nicke wortlos und setze dabei ein höfliches Lächeln auf. Alpstein und optimale Blutwerte passen aus meiner Sicht zusammen wie die Faust aufs Auge.
Oder eben wie Alpstein und Blutwert.

Er wechselt vom «Sie» zum «Du».
Ich irgendwie auch.

Langsam beginne ich, die Situation doch ziemlich cool und witzig zu finden.
Wir laufen weiter.

«Genug von mir geredet. Jetzt bist du dran. Und was machst du so?», fragt er.

Puuh.

Was für eine offene Frage.. Mein Kopf spielt Brainstorming (haha, Wortwitz).
Was ich so mache? Aktuell schirme ich mich von Reizen ab, weil ich sensibler als Strauchbasilikum durch mein Leben schleiche. Während ich Erholung von mir selbst brauche, zieht meine äussere Welt dagegen unbeeindruckt ihr Ding durch. Hin und wieder erzähle ich flache Witze und je nach Gefühlslage auch mal unaufgefordert. Es gibt Phasen, da fühle ich mich chronisch überfordert und spiele Tetris mit Quadraten.
Nun ja, aber ansonsten ist mein Leben ziemlich langweilig.

Noch immer strample ich innerlich wie wild, endlich eine passende Antwort auf seine Frage zu finden.

«Ääähm», spreche ich endlich aus.
Smalltalk kann ich eben.

Er blickt mich von der Seite an und sieht etwas verwirrt aus.
Total verständlich.

«Ich arbeite in einem Unternehmen, das pflanzliche Arzneimittel entwickelt und produziert und mache nebenbei sowas mit der Psyche», taste ich mich vor.
Erfahrungsgemäss wirft der Beruf selten Fragen auf und ist gut verständlich.

Was da in meinem «brain» so derart «stormt»!

Irgendetwas stört mich an der Frage, was ich denn so mache. Ich kann es riechen, dieses niederschwellige «wie dienst du der Gesellschaft», das nun schräg in der Alpsteinluft hängt.
Ich fühle mich unter Druck, irgendwie nützlich zu sein. Sehr wahrscheinlich quengelt der Optimierungsdruck, Dinge zu produzieren und Leistung zu erbringen.
Beinahe möchte ich mich entschuldigen, heute so unproduktiv in den Bergen zu sein, statt das nächste Projekt auf Grammatikfehler zu überprüfen oder elegante Bügelfalten in meine Hosen zu zaubern.

Das hat nichts mit meinem Wanderpartner zu tun, sondern mit meinen inneren Überzeugungsknödel und dem, was da im Kopf so derart stürmt. Faszinierend, was da Noémie-intern alles abläuft. Doch darüber mag ich später nachdenken.

Jetzt neigt sich unsere Wanderung dem Ende zu. Mein neuer Wanderpartner und ich stehen auf dem Parkplatz und verabschieden uns, in dem wir uns gegenseitig gute Blutwerte wünschen.
Ich mag seinen Humor. 
Wenn ich so darüber nachdenke, finde ich es schade, dass sich unsere Wege wieder trennen. Gleichzeitig erfüllt mich eine Dankbarkeit für diesen ungeplanten Crashkurs aus der Rubrik: «Ziemlich cool, am Leben teilnehmen». Ich bin dankbar, weil mir das Leben immer wieder herzgewinnend zuzwinkert und aufzeigt, wie vielfältig es sein kann.

Und jetzt die Frage: Wie sieht es bei dir aus?

Was antwortest du auf die Frage, wie du den Grossteil deines Tages verbringst?
Wird das, was von der Gesellschaft beklatscht wird, tatsächlich ein grosser Teil deiner Identität? 
Was machst du, wenn dir niemand zusieht – und wenn du niemand sein musst?
Aber dazu im nächsten Artikel mehr. 

Wenn ich so darüber nachdenke, mache ich ja ständig.. Dehnübungen, Recovery, Atmen, Bretzel mit Butter. Ich könnte natürlich auch Spargel stechen oder Leuchtturmwärterin werden. Das wäre bestimmt witzig, bringt mich aber nicht weiter.
Ich brauche nicht noch weitere Seminare zur Entwicklung irgendwelcher Anteile in mir zu besuchen oder in amüsanten Schnorchelkursen zu plantschen.

Was ich brauche ist die Reduktion auf das Wesentliche. Könnte die Frage danach, was ich denn so mache, vielleicht nicht auch einfach wunderbar sein?

Um die Frage noch offiziell zu beantworten:
Ich recovere gerade.
Mit allem, was dazugehört.

In diesem Sinne
Bleiben wir gemeinsam dran  – es lohnt sich!

Noémie