Allgemein

Werde eine Bildhauerin, bzw. ein Bildhauer!

Keine Sorge, du bist nicht in der Abteilung für Berufsberatung gelandet. Das ist auch keine Handwerker-Ausgabe. Ok, vielleicht ein wenig. Wir kommen später darauf zurück, erstmal muss ich etwas loswerden.

Etwas:
Wenn du dich entscheidest, dass es cool ist, durch dein Leben zu rennen, dann ist dieser Artikel reine Zeitverschwendung für dich. Dann empfehle ich dir, deinen «Speedy Gonzales-Forrest-Gump-Modus» nicht zu unterbrechen und unter keinen Umständen weiterzulesen.

Ok, «etwas» ist beendet.
Schnitzen wir uns zum Kern des Artikels vor.

Eine ausgewogene und nachhaltige Geschwindigkeit? Fehlanzeige!

In der ersten Hälfte des Jahres habe ich oft so getan, als würde die Zeit nicht verstreichen, obwohl sie mir davonrannte wie Usain Bolt. Manchmal glaubte ich, mehr über die Zeit zu erfahren, wenn ich eifrig die Uhr anstarrte. Dabei spürte ich lediglich das «Tick Tack» meines schon ziemlich erschöpften Herzens. Beinahe pausenlos optimierte ich mein Zeit- und Stressmanagement und vergalloppierte mich dabei in die falsche Richtung.

Völlig nachvollziehbar. So im Nachhinein.

Schliesslich war ich an die Denkweise gewöhnt, mehr zu erreichen, wenn ich mehr tue. Die Gegenwart gut ausfüllen und so. Blöderweise habe ich mit dieser Strategie alle Signale, die mir Sicherheit vermittelten, rigoros mit der Dampfwalze überfahren.

Und jetzt?
Eine neue Dampfwalze muss her!
Spass. Eine neue Strategie natürlich.

Den Lautstärkeregler des Lebens herunterdrehen

«Noémie, Tempo drosseln», schreibe ich ins Notizbuch.
Also nix gegen Tempo. Tempo ist gut, das macht die Sache bissel schneller. Jedoch hilft mir eine beschleunigte Geschwindigkeit nur bei dem, was mich erfüllt und Freude bereitet.

Folgende Fragen prägen mich:
Wie kann ich das Leben spüren?
Wie erschaffe ich mir eine Lebensweise, um wieder zu Atem zu kommen und zu reflektieren, was ich in meinem Alltag praktiziere?

Auf der Suche nach Antworten stolpere ich über ein Zitat von Karen Jobe Templeton:
„Wenn du so langsam wirst, dass du bildhauern kannst, entdeckst du viele Dinge, die dir vorher nie aufgefallen sind.“

Ich denke so lange über das Zitat nach, dass ich vermutlich so aussehe, als würde ich auf dem Schlauch stehen. Davon lasse ich mich nicht verwirren und beschliesse, diese bildhauer-Metapher sympathisch zu finden.
Bei allem etwas langsamer werden. Ist bildhauern also ein möglicher Lösungsansatz?

Ich bin neugierig.
Und google nach, wie ich das sehr oft mache, wenn ich nicht weiterweiss (welcher Mitarbeiter von Google auch immer meine Daten auswerten muss… an seiner Stelle würde ich lachend vom Stuhl kippen oder verzweifeln, mir personalisierte Werbung auf meine aufregende Denkfabrik zu schicken.. aber das ist eine andere Geschichte). 

Die Suchmaschine präsentiert mir zum Bildhauer-Beruf folgendes:
«Bildhauer entwerfen Einzelstücke nach den Vorstellungen und Wünschen der Kundschaft. Sie fertigen Skizzen, Zeichnungen sowie Modelle und beurteilen diese mit dem Auftraggeber.»

Uff.
Jetzt stell dir mal vor, wenn du deine eigene Kundschaft und dein Auftraggeber bist. Niemand schreibt dir vor, wie du dein Leben zu leben hast.

Den eigenen Vorstellungen und Wünschen eine Form geben.
Die Pläne mit sich selbst beurteilen.
Dein Leben als Kunstwerk.
Einzelstück und so.

Das Leben erschaffen. Du hast dein Werk in der Hand. Handwerk und so. Das alles in einem Tempo, das nachhaltig ist. Indem noch der Prozess gelebt wird und nicht eifrig auf das Ziel hingeackert wird.

Wie langsam darf es denn sein?

Mal eine Frage: Wenn du dich an schöne Momente erinnerst, hast du dich da beeilt oder mit deinen fünf Sinnen dem Augenblick hingegeben?

Erinnerst du dich an das Essen, bei dem du jeden Bissen genossen hast? Hörst du noch heute die Klänge während einem Konzert deiner Lieblingsband? Spürst du diese innige Umarmung? Riechst du den Duft deines Partners in deiner Nase?

Die Augen schliessen und den Himmel berühren.
Schau dich um. Alles ist schon da.

Keine Rolex am Handgelenk kann uns mehr Zeit schenken. Je mehr Sinne du für einen Moment nutzt, desto mehr verlangsamt sich die Zeit. Dann entdeckst du Dinge, die dir vorher nie aufgefallen sind. Voilà, das ist bildhauern ohne handwerkliches Geschick oder das Flair für räumliches Vorstellungsvermögen. 

Langsamer denken. Langsamer an der Kasse anstehen. Langsamer Zug fahren. Jemandem langsamer in die Augen schauen. Langsamer Zähneputzen. Langsamer Karotten schälen.

Wie langsam, entscheidest du allein. 
Dein Leben, dein Tempo.

Oder willst du immer vorhaben, bald anfangen zu leben?

Wie sagt man so schön: nur die Zähne putzen, die wir behalten wollen. Nur die Momente verlangsamen, die wir behalten wollen. 

In diesem Sinne
Bleiben wir gemeinsam dran – es lohnt sich!

Noémie