Allgemein

Wie viel von was tut mir gut? Die Minimalismus-Edition!

Minimalismus.
Dieser Lebensstil geniesst gerade viel Aufschwung in der Gesellschaft. Keine Sorge, ich werfe dir keine Ratgeber-Parolen um die Ohren oder erkläre dir in drei Schritten, wie du Zahnstocher einzeln zählen kannst. Definitiv: Nö.
Diese Ausgabe wird ne ganz andere Kiste.

Schliesslich liest du auf einem Blog, der dir Impulse für deinen persönlichen Genesungsweg anbietet. Da haben inventierte Zahnstocher nix verloren.

Anhand von persönlichen Beispielen erzähle ich dir, inwiefern das Minimalisieren mein Leben vereinfacht.
Meine Reise beginnt vor drei Jahren, erstmal nur theoretisch und von Weitem. Mit dem Umzug in eine charmante 1.5 Zimmerwohnung vor drei Wochen bin ich nun angekommen – mitten im Leben. 

Na dann, fetzen wir direkt ins Thema rein! 

Mein Leben einfacher machen.

Es gibt Phasen, da fühle ich mich nicht nur nah am Wasser gebaut, sondern im Wasser. Als hätte mir das Leben ohne Vorwarnung meine Schutzfolie abgezogen. Wenn ich mit solch komplizierten Dingen zu tun habe, brauche ich einfache Dinge. Die Architektur in meinem Zuhause darf mich nicht auch noch überfordern. An klaren, überschaubaren Strukturen kann ich mich wieder orientieren.

So vereinfache ich mein Leben um ein Vielfaches! Mein Zuhause darf ein sicherer Ort, eine Rückzugsoase sein. Oder eine Reparaturfirma, die sich darauf spezialisiert hat, die fehlende Schutzfolie passgenau und individuell zu ersetzen.
Freundlicher Kundenservice inklusive.

In meinem Schutzfolien-Reparaturlager kann der Alltag nur schwer stattfinden. Manchmal bemerke ich die unbezahlbare Fähigkeit, ganz unverordnet Ruhe zu finden. Damit kommt eine lang ersehnte Langsamkeit zurück, die sich wohltuend auf andere Lebensbereiche auswirken.

Videos schauen, ohne gleichzeitig Kommentare zu lesen.
Atmen.
Handy öfters ausschalten. 
Nicht auf den Bus hetzen.
Bewegungen achtsam ausführen.
Wobei letzteres wenig kompatibel ist bei Vorbereitungen auf neue Marathon-Bestzeiten. Aber ich will ja nicht äusserlich grösser werden, sondern innerlich wachsen.

Mit dem Motto «Eins nach dem anderen» schaffe ich mir Platz nachzudenken, was ich mit dem mache, was das Leben mir bietet. Das fördert meine Kreativität. Der frei geschaufelte Platz könnte ich nutzen, mit den Scherben der falschen Erwartungen zu puzzeln, die ich demoliert habe. Auf dem Weg zum Klo könnte ich spontan ein erfolgreiches Start-Up gründen oder doch lieber meine gescheiterte Bildung zelebrieren.
Die Ideen sind da. 

Will ich mit meinen Dingen angeben?
Der Weg zum Minimalismus führt nur an gnadenloser Ehrlichkeit vorbei!

Jep. Tschuldigung, aber so ist es.

Vor einigen Jahren stand mein Briefkasten vor einer tollen Bude aus der luxuriösen Bau-Elite: Erstbezug, einen Haufen Quadratmeter, Minergie, Bling Bling, Fitness-Hantelbank im Wohnzimmer, bääm.
Unbewusst erhoffte ich mir, mit diesem Mietvertrag standfester im Leben zu stehen, erwachsener zu sein, mich in meinem Körper sicherer zu fühlen, mein Leben im Griff zu haben.

Paradox.
Heute begreife ich.

Meine Gegenstände sollten meinen Besuchern Eindruck machen. Ich wollte wirken. Nach aussen. Und zog meinem Selbstwertgefühl ungeduldig an den Ohren, damit es endlich wächst.

Meine Büchersammlung hat mir gezeigt, dass ich es bedauere, zu wenig Zeit fürs Lesen zu haben. Die Hantelbank war dafür zuständig, das Gefühl zu vermissen, regelmässig ins Training zu gehen.
Die Gegenstände sollten einen Lifestyle verkörpern. Jedoch war ich eher damit beschäftigt, diesen sogenannten Lifestyle abzustauben.
So staubwischig war das nicht geplant. 

Minimalismus ist nicht etwas, das übers Wochenende kurz erledigt wird!

Er ist ein jahrelanger Prozess.
Ein Beispiel: der Kauf einer Jeans vor zwei Jahren. Wohl fühlte ich mich schon bei der Anprobe nicht. Keine Ahnung, welche Flatulenz mich geritten hat, diese überteuerte Jeans trotzdem zu kaufen. Vermutlich habe ich mit ihr eine gesunde, erfolgreiche Frau assoziiert. So wollte ich auch werden.
Trotzdem wanderte sie erstmal in mein Kleiderschränkchen.

Es kommt noch absurder…

Jeden Tag hat sie mich vorwurfsvoll aus ihrem Ablagefach angeglotzt und mich daran erinnert, dem Idealbild einer modernen, jungen Frau hinterherrennen zu wollen. Dieses verzerrte Bild klebte derart fest in meinem Schädel, dass der Superkleber ganze Hirnareale verstopfte.
Was die Jeans mir vereinfacht mitteilte: Ich bin nicht gut genug.

Der emotionale Preis dieser Jeans war um einiges teurer als die Zahl auf dem Preisschild. Stell dir vor, zwei Jahre verklebte sie mich mit unangenehmen Gefühlen. Zwei ganze Jahre! Zwei Mal 365 Tage!
Ich bin kein Mathegenie, doch das ergibt eine gewaltige Anzahl von «Ich bin nicht gut genug»-Wiederholungen für mein Unterbewusstsein. 

Vor zwei Monaten habe ich es geschafft, mich von ihr zu lösen. Ich habe die Hose verschenkt – und war direkt um 4,7 kg leichter!
Die Prozesse des «Begreifens» und des «Loslassens» brauchen eben ihre Zeit.

Nicht was du hinzufügst, sondern aussparst, macht dein Leben reicher.

Versteh mich bitte nicht falsch. Du musst keine Minimalistin und kein Minimalist werden.
Sowas ist keine Garantie für frohes Kumbaja. Der Artikel ist auch keine Kooperation mit Entrümplungsfirmen, die dir 10% Rabatt mit dem Code «ach wie viel Mist ich besitze, nicht mal auf dem Flohmarkt würde das jemand haben wollen» ermöglichen.

Vielmehr möchte ich dir den Impuls schenken, immer wieder innezuhalten und die eigenen Prioritäten zu klären. Das Leben ordnen und nicht die Zahnstocher. Letztendlich geht es doch um die Frage: Wie viel von was tut mir gut?

Es ist wichtig zu verstehen, weshalb du etwas in deine Wohnung stellst oder Dinge kaufst.
Es dürfen Dinge in dein Leben kommen, die nicht nur gut aussehen, sondern sich gut anfühlen.

Es ist total cool, völlig grundlos deine Tapeten anzulächeln. 
Probiere dich aus.
Du bist es wert, geistig leicht zu reisen.

In diesem Sinne
Bleiben wir gemeinsam dran – es lohnt sich!

Noémie